Spitzengefühl - Was Dessous für mich bedeuten
- Bea Cervinka
- 18. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Ein Beitrag zur Blogparade von Anne Hausmann
Irgendwo auf dem Weg zwischen Kindheit und Frausein stellte mir meine Mutter eine Tüte vor die Nase, ganz nach dem Motto: Schau mal, sowas brauchst du jetzt. In ihr ein Sortiment BHs, gebraucht, eher zweckmäßig als schön. Ich stand da, zwischen kindlicher Ratlosigkeit und erwachsenem Augenrollen, und freundete mich notgedrungen mit dem Thema an. Heute – als zweifache Mama mit dem Fokus auf Alltagspragmatismus gilt: Wenn nichts zwickt, nichts rutscht und ich nicht dran denken muss, dann ist es das richtige Teil. Dessous sind für mich längst kein Akt der Verführung mehr, sondern einer der Rückverbindung: mit meinem Körper, meiner Würde, meinem Spüren. Von der Geschichte dazwischen erzähl ich dir heute:
Mein Morgenritual
Manchmal ist Selbstfürsorge aus Baumwolle. Und manchmal aus Spitze. Irgendwann zwischen Oberschule und Studium traf ich für mich selbst die Entscheidung: Ich möchte schöne Dessous tragen - Nicht für jemand anderen. Nur für mich, auch wenn sie niemand sieht oder vielleicht gerade dann. Und vor allen Dingen möchte ich Wäsche tragen, wo der BH zum Slip passt und nicht wahllos Teile zusammengewürfelt aus der Schublade gezogen und morgens mit noch halbgeschlossenen Augen auf den Körper geschmissen werden. Es wurde ein kleines Morgenritual, ein stiller Moment im Badezimmer: Ich zog diese feine, zarte Wäsche über – nur für mich. Schon damals entsprach mein Körper vielleicht nicht dem perfekten Schönheitsideal, ich fühlte ich mich Zeit meines Lebens zu dick. Doch diese tollen Stoffe in perfekter Passform gaben mir das Gefühl: Auch mein Körper ist schön. Mit einer fantastischen Verpackung lässt sich auch ein mittelmäßiger Inhalt ganz nett anschauen. Heute blättere ich durch die alten Fotos von damals und denke mir: Mensch, hattest du eine tolle Figur! Was hatte ich bloß auf den Augen, dass ich das damals nicht erkennen konnte? Dennoch, ich hatte etwas gefunden, das wichtiger war: Ein Gefühl von Würde. Von Selbstachtung. Und ein kleines Geheimnis unter der Alltagskleidung, das mir jeden Tag ein Stückchen innere Aufrichtung geschenkt hat. Das mir die Möglichkeit gab, mich mit meinem Körper zu verbünden, statt gegen ihn zu kämpfen und ihn zu „optimieren“ anstatt mich zu „verstecken“.
Körper im Wandel
Während der ersten Schwangerschaft veränderte sich mein Körper dann radikal: Wir schenkten Leben, lagen nachts wach, trugen monatelang einen Kinderkörper mit durchs Leben. Als Dank gabs für mich Schokolade, Milch, Babyglück und müde Liebe. Seitdem ist mein Körper anders, weicher, runder, delliger, schlaffer. Und vor allem passt er nicht mehr in die standartmäßige 80C. Wir sind gewachsen, sprengten quasi die Körbchen von damals und sind heute schon zufrieden, wenn nichts zwickt oder kneift. Tanga? Brauch ich nicht mehr, die Hosen sitzen bei weitem nicht mehr so eng, dass sich der Slip am Hosenbein abzeichnen könnte. Stattdessen stellt sich beim Einkaufen eher die Frage: Geht das Bündchen hoch genug, dass es sich im Sitzen nicht über den Wohlfühlbauch nach unten rollt und auf der Kaiserschnitt-Narbe aufliegt? Und ehrlicherweise: die größte Freiheit für eine Mama in Elternzeit ist doch die, zu Hause ohne BH rumlaufen zu können. So änderte sich die Bedeutung von Dessous als morgendliches Ritual zur Wertschätzung meines Körper in ein stilles Abwägen zwischen Funktionalität und Komfort. Zwischen dem, was war – und dem, was jetzt gebraucht wird: Früher war es ein Hauch von Spitze, heute ist es ein weiches Bündchen, das nicht zwickt. Früher war es ein BH, der mir das Gefühl von Form gab – heute ist es das Loslassen dieser Form, das mich atmen lässt.
Und doch: Ganz tief in mir lebt noch der Gedanke an die Bedeutung von damals. Nicht jeden Tag, aber doch manchmal. Ein Moment der Erinnerung, wenn ich ein altes, schönes Stück in der Schublade entdecke. Dann spüre ich: Auch jetzt sollte ich mich schön fühlen – weil halt. Mein Körper ist nicht weniger wert, weil er sich verändert hat. Er ist gereifter. Hat geliebt und gelebt. Und verdient Dessous, die nicht für andere, sondern für mich gemacht sind. Vielleicht nicht täglich. Aber immer dann, wenn ich mich daran erinnere: Ich bin neben dem Mamasein auch eine Frau.
Wertschätzung statt Optimierung
Mittlerweile habe ich für mich erkannt: Es geht nicht mehr darum, den alte Formen nachzueifern – sondern neue zu schaffen, die mir passen und in denen ich mich wohlfühle. Ich brauche eine neue Art von Wäsche für meinem Körper. Eine, die meine Kurven ehrt, sie sanft in Form bringt, Halt gibt aber nicht quetscht und drückt.
So wurde ich auf Anne Hausmann aufmerksam, die mit einer bewundernswerten Leidenschaft zeigt, wie viel Freiheit darin liegt, sich Dessous einfach selbst zu nähen. Um der Massenware von der Stange zu entgehen und der eigenen Individualität Raum zu schaffen, sich selbst näher zu sein.
Noch habe ich mich nicht an die Nähmaschine gesetzt, eine Mischung aus zu viel Ehrfurcht vor dem Projekt und anderen Prioritäten halten mich noch davon ab. Aber ich sehe das Bild ganz klar vor mir: Wie ich Stoffe auswähle, Farben kombiniere, einen BH nähe, der weder drückt noch korrigiert, sondern mich einfach begleitet. Ein neues Stück Selbstfürsorge, das auf der Haut liegt und mir hilft, wieder Ja zu mir sagen zu können, zu meinem Körper– genau so, wie ich bin. Und dann bin ich froh, auf Annes Erfahrungen zurückgreifen zu können und mit ihren Anleitungen meine neuen Dessous zu kreieren.
Meine Vision
Vielleicht ist das Nähen eines eigenen BHs gar nicht das Ziel – sondern ein Symbol. Für ein neues Verhältnis zum eigenen Körper. Für das Wissen, was er alles leistet. Für das Spüren, das Wahrnehmen, die Existenz als Frau im eigenen Fleisch.
Während ich diese Zeilen schreibe, erfasst mich auf einmal eine Welle Seelenschmerz: In was für einer Welt könnten wir leben, wenn nicht das Aussehen des eigenen Körpers
ständig be- oder sogar verurteilt würde? Wenn individuell das neue Normal wäre und niemand mehr in eine Schublade zu passen versucht? Ich sehe Bilder auf Instagram, wo eine Frau mit walkürehaften Kurven ihre wunderschön verpackte Brust stolz zeigt und regelmäßig dumme Kommentare erntet. Eine Komikerin mit Plus Size den Satz sagt: "Wir leben in einer Welt, in der man als dicker Mensch weniger Wert ist als als schlanker." Oder der Gedanke: Wie würde eine Welt aussehen, in der auch Frauen einfach oben ohne im Schwimmbad sein könnten – nicht aus Provokation, sondern weil es selbstverständlich ist?
Ich bin keine Feministin - überhaupt gar nicht und ich brauche auch keine Sprachpolizei, um mich als Frau wahrgenommen zu fühlen. Aber ich spüre, dass es da etwas gibt, das wir uns noch nicht zurückerobert haben: Ein tiefes, freies Körperbewusstsein, das nicht fragt, ob es zu viel oder zu wenig ist – sondern einfach sagt: Ich bin da. Ich bin richtig. Ich darf Raum einnehmen.
Heilung alter Wunden
Ich habe mich in den letzten Jahren viel mit der Bedeutung der Biene von den damaligen Hochkulturen bis heute beschäftigt. An ihr sieht man ganz klar die Entwicklung unserer Gesellschaft: Die Biene war einst heilig. Zu Anbeginn der Sesshaftigkeit der Menschen war sie verehrt, vergöttert, sie war das Krafttier aller Götter die von Anfang an waren. Sie war das Sinnbild von Fruchtbarkeit, Verbindung, zyklischer Regeneration – eine Botin, ein Symbol der großen Schöpferin. In alten Kulturen wusste man um ihre Kraft: süß wie Honig, stechend wie ihr Stachel, regenerierend wie der Tanz des Lebens.
Und mit ihr wurde auch das Weibliche verehrt – als schöpferische Urkraft, als Mysterium, als Quelle. Doch diese Verehrung wurde während der Christianisierung umgedeutet: Aus Fruchtbarkeit wurde Fleiß, aus Lust wurde Schuld. Aus Kraft wurde Gehorsam. Die keusche, fleißige Biene – das Sinnbild einer Frau, die sich selbst zurücknimmt, die dient, die funktioniert.
Was wäre, wenn wir diesen alten Irrtum heilen würden? Wenn wir weibliche Sinnlichkeit nicht länger als Bedrohung oder moralisches Risiko dämonisieren müssten – sondern als lebendige Verbindung zur eigenen schöpferischen Kraft verstehen würden? Was wäre, wenn ein weiblicher Körper nicht länger versteckt, bewertet, geregelt oder diszipliniert werden müsste, sondern einfach sein dürfte? Wild. Sanft. Begehrlich. Heilig.
In einer solchen Welt wäre Lust kein Makel, sondern ein Wegweiser zur Wahrheit, zur Freude, zur eigenen inneren Quelle - ein Ausdruck lebendiger Kraft. In einer solchen Welt würde niemand sich schämen müssen, ein sinnliches Wesen zu sein, würde ein weicher Bauch nicht kaschiert, sondern mit Zärtlichkeit betrachtet, wäre ein Körper nicht nur ein Gegenstand der so und nicht anders auszusehen hat – sondern ein Tempel.
Vielleicht beginnt genau da der neue Sinn von Dessous: Nicht als Reizwäsche, nicht als Optimierungspanzer. Sondern als zweite Haut, die meine erste ehrt. Als Erinnerung an unsere ureigene weibliche Göttlichkeit. An das, was in uns wohnt, wenn wir still genug werden, um es wieder zu spüren.
Heilung alter kollektiver Wunden auf allen Ebenen – das ist es, was ich mir für uns Menschen wünsche. Nicht laut oder dogmatisch. Sondern still, tief, echt. Und manchmal beginnt sie…mit einem BH, der einfach passt. Oder mit dem Mut, sich wieder schön zu finden. Ganz. Jetzt. So wie ich bin. Vielleicht… fängt genau dort die Heilung an, mit einem selbstgenähten BH.
Liebe Bea,
es ist wunderschön, wie du deine Sicht der Dinge darstellst. Besonders faszinierend finde ich deinen Vergleich mit den Bienen. Das war mir neu. Bei allen anderen Punkten, die du erwähnst, konnte ich immer nur nicken. Ich hatte für einige Jahre ein kleines Dessous-Unternehmen und habe genau die Erfahrung, die du beschreibst bei so vielen anderen Frauen auch wahrgenommen. Oft sind die Frauen aber leider nicht zu der Erkenntnis gekommen wie du. Dafür bist du wirklich zu beglückwünschen.
Liebe Grüße
Edith
P.S. Ich habe auf meinem Blog sehr viele Artikel, die ich während meiner Dessous-Zeit geschrieben habe. Vielleicht interessiert dich der eine oder andere.
Liebe Bea,
ich mag sehr gern die Zusammenhänge, die du in deinem Artikel herstellst und beleuchtest, und ich bekomme Lust, mich auch mit dem Thema Dessous auseinanderzusetzen.
"Manchmal ist Selbstfürsorge aus Baumwolle. Und manchmal aus Spitze." Du sagst es.
Es hat mir große Freude bereitet, deine Ausführungen zu lesen, und ich fühle mich inspiriert.
Liebe Grüße
Silke
Liebe Bea,
es war mir eine Freude, Dich auf Deinem Weg im Umgang mit Dessous begleiten zu dürfen.
Du hast damit nicht nur Deine persönliche Geschichte geteilt, sondern vielen Frauen aus der Seele gesprochen.
Ich danke Dir sehr, dass Du Teil meiner Blogparade geworden bist.
Ich wünsche Dir, dass Du Dir irgendwann die Zeit nimmst oder besser selbst schenkst, Deine eigenen Dessous zu nähen. 😊
Liebe Grüße,
Anne